Das „Bocholter Centre Pompidou“: Rathaus, Bürgerhalle und Kulturzentrum Bocholt
Denkmal des Monats März 2020
Der Architekt Gottfried Böhm konnte am 23. Januar 2020 seinen 100. Geburtstag begehen. Das ist Anlass genug, auf seine Bauten in Westfalen-Lippe zu schauen. Hier stehen in zehn Kommunen zwanzig seiner Bauten, darunter sieben Kirchen. Die Gebäude entstanden zwischen 1947 und 1992. Aus seinem Werk ragt sicherlich das Paderborner Diözesanmuseum hervor, das 1968 bis 1975 als neuartiger Museumsbau Aufsehen erregte. Weniger bekannt, aber kaum weniger exzeptionell, ist das 1974 auf einer künstlichen Insel in der Aa errichtete Rathaus in Bocholt. Wir ernennen es zu Ehren des Jubilars zum Denkmal des Monats.
Böhms Werke in Bocholt
Bocholt mit sieben verwirklichten Projekten dreier Generationen der Architekten-Familie Böhm kann in aller Bescheidenheit als ein westfälischer Schwerpunkt im Werk der Böhms gelten. Schon Gottfried Böhms Vater Dominikus Böhm schuf hier 1936/1937 mit der Kirche Hl. Kreuz einen wichtigen Sakralbau der Zwischenkriegszeit. Nach Gottfried Böhms Entwürfen entstanden in Bocholt 1966 die Kirche St. Paul mit ihrem Gemeindezentrum und der hier eingebundenen Clemens-August-Schule, 1979 bis 1980 Schatzkammer und Sakristei der spätgotischen Kirche St. Georg sowie das Rathaus, an dem seine Söhne mitwirkten.
Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts war die Bocholter Stadtverwaltung dezentral untergebracht. Durch einen Wettbewerb 1970, den Gottfried Böhm gewann, sollte diese schwierige Situation gelöst werden. 1971 begann man, mit Stahlspundwänden den Insel-Standort im Aa-Bett vorzubereiten. Am 29. September 1977 wurde das Theater mit der Oper „Aida“ eröffnet, die Einweihung des gesamten Traktes folgte am 4. April 1978.
Das architektonische Konzept
Während Verwaltungstrakt und Bürgerhalle als großflächig verglaste Rasterkonstruktion mit grün gefassten Stahlstützen sichtbar werden, ist der Theatertrakt als geschlossener, mit hellroten Backsteinziegeln verkleideter, skulpturaler Massivbau in Betonbauweise ausgeführt worden. Neben dem Verwaltungs- und Theatertrakt sind die sechs Brückenzugänge in ihren unterschiedlichen Ausführungen markante Bestandteile des Rathauses. Um die Einheit des Baus zu betonen und den gestalterischen Kontrast der beiden Trakte zu mindern, entwickelte Böhm ein Material- und Farbkonzept für den Gebäudekomplex. Roter Backstein und grün gefasste Stahlkonstruktionen rahmen und gliedern den gesamten Gebäudekomplex. Der mit Wellblech verkleidete Erker des Ratssaals ist mit sogenannten „Schriftmalereien“ versehen, die Daten der Stadtgeschichte wiedergeben. Auch im Fassadenbereich des Zwischen- und Erdgeschosses sind Schriftmalereien vorhanden. Oberhalb des Haupteingangs findet sich eine abstrahierte Buche als Wahrzeichen der Stadt. Spiegelungen im Wasser und das umgebende Grün erhöhen den Reiz der Architektur.
Begegnungsort
Die Bürgerhalle ist mit Backsteinwänden und -böden sowie verspringenden Ebenen lebendig gegliedert. Ursprünglich hatte die Bürgerhalle kräftige Rot- und Grünfarbtöne, die irgendwann farblich abgemildert wurden. Galerien erschließen die Geschosse des Verwaltungstraktes. Hellgraue Rohre der Klimaanlage verlaufen in gleichmäßigen Abständen durch die Halle und viele andere Räume; als skulpturale Strukturen werten sie diese künstlerisch auf. Diese offen verlaufenden Versorgungsleitungen gaben dem Rathaus seinen Spitznamen „Bocholter Centre Pompidou“. Die Bürgerhalle dient nicht nur als Foyer für den Rats- und den Theatersaal, sondern sie sollte von Anfang an durch Läden, eine mittlerweile aufgegebene Galerie und eine Kantine als Begegnungsort wahrgenommen werden. Böhm ging in seiner Planung sogar so weit, durch eine Verbindung über die Aa die Bürgerhalle als Teil des benachbarten Ortsteils und damit auch als Teil der traditionellen und sehr beliebten Bocholter Kirmes zu konzipieren.
Städtisches "Wunderwerk"
Bereits zu seiner Eröffnung wurden die Qualitäten des Gebäudes erkannt, wie Manfred Frede in der Zeitschrift „Unser Bocholt“ 1978 betonte: „So ließen sich noch tausend Worte sagen zu diesem imposanten städtischen ‚Wunderwerk‘, dessen konzeptionelle Eigenwilligkeit das Normale weit übersteigt, dessen Zweck, Funktion und auch Standort aber auf lange Sicht hin die Anliegen aller erfüllen wird.“ Den aktuellen Anliegen wird das seit 2016 unter Denkmalschutz stehende Gebäude zurzeit angepasst.
Autor
Hans H. Hanke
Ehemaliger Mitarbeiter Inventarisierung