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Die Aeolian-Orgel im Schloss Detmold

10 WACHGEKÜSST

Die Aeolian-Orgel im Schloss Detmold

Wachgeküsst

Als feste Bestandteile eines Baudenkmals oder als Objekte von eigenständigem Denkmalwert sind Orgeln regelmäßig Gegenstand der Denkmalpflege. Ein besonderes Beispiel befindet sich im Detmolder Residenzschloss: die halbautomatische Aeolian-Orgel, die 1917 in den neu errichteten Bibliothekssaal integriert wurde. Ihre Geschichte ist eng mit dem letzten Regenten des Fürstentums Lippe, Fürst Leopold IV. (1871–1949), verbunden, der für seine Affinität zu Technik, Kunst und Theater bekannt war. Die Aeolian-Orgel verfügt über einen Selbstspielmechanismus, der das automatisierte Abspielen gelochter Notenrollen ermöglicht. Als Zeugnis höfischer Musikkultur ist die Orgel nicht nur in Westfalen einzigartig, sondern nach derzeitigem Kenntnisstand in ganz Europa ohne vergleichbares Beispiel. Die Detmolder Orgel dokumentiert aber auch eindrucksvoll die Liebe Leopolds IV. zur Musik: Ihre Anschaffung war für ihn eine Herzensangelegenheit – ihre Restaurierung ist es für seinen Enkel Prinz Stephan zur Lippe.

Wir lassen die märchenhafte Geschichte der Orgel wieder aufleben, verdeutlicht durch Tagebucheintragungen und persönlichen Erinnerungen.

Karte des Fürstentums Lippe

Das Fürstentum Lippe

In einem kleinen Fürstentum lebte Leopold (1871–1949), der Fürst von Lippe, der sich in die Königin der Instrumente, die Orgel, verliebt hatte. Leopold war dem Fortschritt zugewandt und förderte Reformen in Infrastruktur, Wirtschaft und Kultur, die Lippe aufblühen ließen.

Leopold-Bad und Inhalatorium in Bad Salzuflen

Erinnerungen des Prinz Stephan zur Lippe

"Als mein Großvater 1905 Fürst wurde, bemühte er sich, das Existenzrecht Lippes zu stärken. Er förderte die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung wie Kurbäder, Theater und Musik. Er selbst war sehr musikalisch, spielte sehr gut Klavier und Orgel. Die Orgel schien seine große Leidenschaft zu sein."

Britische Anzeige für die Aeolian Orgel von 1914-1918

Interesse geweckt

Ein Besuch beim Großherzog von Hessen-Darmstadt im Jahr 1914 weckte Leopolds Interesse an einem Projekt, das seine musikalische und technische Neigung vereinte. Die in der Residenz des Herzogs befindliche Orgel der US-amerikanischen Aeolian Company konnte sowohl händisch gespielt werden als auch Musik über einen Selbstspielapparat automatisiert wiedergeben. Begeistert träumte Leopold von einem eigenen Instrument und besuchte die Verkaufsräume der Choralion Company in Berlin, die die Aeolian-Instrumente in Deutschland vertrieb.

Schloss Detmold

Tagebucheinträge

12. Februar 1916 

„[…] Besprechung mit Vertretern der Choralion Compagnie aus Berlin wegen eines im Schlosse geplanten Orgeleinbaues gehabt. […] Nachmittags Orgelbesprechung fortgesetzt.“

5. März 1916 

„[…] ¾ 6 – ¾ 8 mit Architekt u. Orgelbauer aus Berlin den geplanten Um- u. Einbau einer neuen Bibliothek u. Musiksaales im Schloß an Hand von Plänen besprochen.“

Der Spieltisch im Musikzimmer

Anspruchsvoller Einbau

Die Installation der Aeolian-Orgel war schwierig. Zwei Räume mussten zusammengelegt und neu gestaltet werden. Hier wurde der Spieltisch installiert, das Orgelwerk selbst hinter Wand- und Deckenverkleidungen verborgen, um einen sphärischen, mystischen Klang zu erzeugen.

Komplikationen

Der Einbau verzögerte sich außerdem erheblich. Der Erste Weltkrieg verhinderte den Transport der Orgel aus Amerika. Einzelteile konnten zwar in Deutschland zusammengetragen werden, jedoch fehlten dann die kunstfertigen Hände des englischen Orgelbauers Thomas Perks. Dieser saß aufgrund seiner Staatsbürgerschaft in einem Internierungslager fest. Niemand im ganzen Reich war in der Lage, das Instrument fertig zu stellen – und so bemühte sich Leopold um seine Freilassung.

Historische Aufnahme des Orgelgeschäfts in Berlin

Schreiben der Choralion-Company

7. Oktober 1916

„An den Kommandanten des Engländerlagers, […] Bezug nehmend auf das Gesuch Sr. Hochfürstlichen Durchlaucht des Fürsten zur Lippe zwecks Beurlaubung unseres Orgeltechnikers Thomas Perks in Ruhleben, bitten wir auch im Namen des Hochfürstlichen Geheimkabinetts in Detmold um gefällige Auskunft, ob obigem Gesuch Folge geleistet werden kann. Es handelt sich um Fertigstellung hier und Aufstellung im Schlosse zu Detmold einer besonders komplizierten elektrisch-pneumatischen Orgel […], die wir ohne baldige Hilfe unseres Technikers Herrn Perks Sr. Durchlaucht dem Fürsten zur Lippe unmöglich zeitig liefern können.“

Orgel im Musikzimmer

Orgel endlich in Gebrauch

Und so geschah es. Das Oberkommando „beurlaubte“ Perks und Leopolds Orgel konnte Anfang 1917 fertiggestellt werden.

Tagebucheintrag vom 20. Februar 1917

„[…] Abends mit Bertha im neuen Bibliothek u. Audienzsaal gewesen, dort zum ersten Mal die neue Orgel gespielt, die inzwischen fertig geworden ist. […]“

Tagebucheintrag vom 12. März 1917

„[…] Mittags wurde der neue Orgelsaal eingerichtet, Herr Bender u. Herr Pratsch (Orgelkünstler) aus Berlin trafen ein. […] Nach dem Abendessen zum ersten Mal im neuen Orgelsaal gewesen u. von Herrn Pratsch uns die Orgel vorspielen lassen. Ich spielte auch selber.“

Der auf halbautomatische Orgeln spezialisierte Pianist Viktor Pretzsch gastierte wiederholt in Detmold. Leopold selbst spielte sie mit großer Freude für Gäste, seine Familie und sich selbst; nach seiner Abdankung spielte er über Wochen fast jeden Abend. Die Musik half ihm, Schicksalsschläge zu verarbeiten.

Mit Spinnweben überzogenen Innenansicht der Orgel

Dornröschenschlaf

So begleitete die Orgel Leopold in den folgenden Jahren. Kleinere Defekte ließen sich beheben, doch um 1940 verstummte sie – vermutlich infolge eines Wasserschadens – und fiel in einen tiefen Dornröschenschlaf. Leopold selbst entschlief einige Jahre später. Viele Jahre zogen dahin, bis sich ein Prinz anschickte, der Orgel neues Leben einzuhauchen.

Orgel aufgebockt in der Restaurierungswerkstatt

Erinnerungen des Prinz Stephan zur Lippe

"Der Orgelsaal war in meiner Kindheit ein dunkler, verschlossener Raum mit ungenutzten Möbel – eine 'Rumpelkammer'. An eine Restaurierung der Orgel dachte damals niemand. Meine Großmutter war unmusikalisch, und mein Vater hielt die Orgel für irreparabel. Vor etwa 15 Jahren wurde die Orgel dann für die Wissenschaft interessant. Mit Unterstützung des LWL beantragte ich Fördermittel, um die Restaurierung zu ermöglichen. Vor drei Jahren wurde die Orgel von der Firma Klais ausgebaut, und wir hoffen, dass sie noch 2024 wieder erklingen wird."

Detail des Spieltisches

Zukunftsmusik

Der Notenrollenbestand im Schloss umfasst über 100 Werke, überwiegend aus der Romantik, darunter Stücke von Wagner, Liszt und Grieg. Eine besondere Rolle ist mit „Prinzessin Baby“ betitelt, eine unbekannte Komposition von 1916. Mathilde, Leopolds Lieblingsschwester, war vier Jahre jünger und wurde liebevoll „Prinzessin Baby“ genannt. Sie starb 1907 im Alter von 32 Jahren überraschend, was für die Familie ein großes Unglück war.

Da die Orgel noch nicht spielbereit ist, konnte das Stück bisher weder abgespielt noch aufgenommen werden. Wir müssen uns bis zur Fertigstellung der Orgel gedulden, um diesen bewegenden Teil der Familiengeschichte zum Klingen zu bringen.