Transkript anzeigen Abspielen Pausieren

Methoden in der Praxis

Bauforschung am Beispiel des Westturms von St. Dionysius in Rheine

Hier können Sie nachvollziehen, wie die verschiedenen Untersuchungsmethoden praktisch angewendet werden und auf welche spannenden Fragen sich Antworten finden lassen. Warum ist die Kirche asymmetrisch? Wie und wann ist der Turm gebaut worden? Und was wurde im Laufe der Jahrhunderte verändert?

Sichtung historischer Fotos

Das historische Foto von 1894 zeigt die Dionysiuskirche von Nordosten. Es kann als baugeschichtliche Quelle herangezogen werden. Die Aufnahme zeigt originale Bausubstanz, die im heutigen Zustand nicht mehr vorhanden ist.

+++ Forschen Sie selbst! Können Sie die Unterschiede finden? +++

Vergleich: heutige Ansicht und historisches Foto St. Dionysus in Rheine Es sind noch Wasserspeier vorhanden, der letzte wurde 1915 entfernt. iguren (Konsole / Baldachin) im obersten Geschoss sind noch erhalten. Bauzeitliche Maßwerke sind noch vorhanden, sie wurden alle im 20. Jahrhundert ersetzt. Unter dem Pyramidendach befindet sich noch der originale Bogenfries, er wurde 1961 stark vereinfacht erneuert. Die Beschädigungen des 17. Jahrhunderts sind noch nicht repariert.

Weitere Erfoschung

Tachymeter und Dendrochronologie

Asymmetrien erkannt
Der Grundstein zum Turm von St. Dionysius wurde am 4. Juni 1494 gelegt. Es war der letzte große Bauabschnitt der gotischen Kirche. Der Westbau mit Turm wurde an das Langhaus mit seinen unterschiedlichen Seitenschiffen angefügt. Der tachymetrisch erzeugte Querschnitt zeigt die Asymmetrie deutlich.

Altersbestimmung gibt Aufschluss
Mithilfe dendrochronologischer Datierung wurde das Emporwachsen des Turms nachvollzogen: Die beiden seitlichen Pultdächer waren 1513 fertiggestellt, das Eichenholz für den Glockenstuhl wurde 1519 geschlagen. 1520 wurden die Glocken gegossen und in den Glockenstuhl eingehängt. Das heutige Turmdach wurde 1550 aufgesetzt. Die Rippengewölbe im Turminneren wurden erst nach 1855 eingezogen.

Querschnitt durch den Westturm

Structure-from-Motion-Verfahren

Ein genaues digitales Abbild gibt Auskunft
Mittels hochgenauer Fotos, die von einer Drohne aus geringer Distanz aufgenommen wurden, wurde im Structure-from-Motion-Verfahren (Tafel Bauaufnahme und Dokumentationsmethoden) ein digitales Abbild der Turmoberfläche erzeugt. Es ermöglicht, das Sandsteinmauerwerk auf der gesamten Turmhöhe bis zur Feinheit erhaltener Oberflächen und Steinkanten zu untersuchen – ohne ein teures Baugerüst.

Versatz- und Steinmetzzeichen
Die Bausteine stammen aus den ca. 12 km entfernten Bevergerner Brüchen. Viele zeigen sogenannte Versatzzeichen (meist Kerben in unterschiedlicher Anzahl, siehe Detail), die sich auf die Höhenmaße der Quader beziehen. Es finden sich auch Steinmetzzeichen, die als personenbezogene Marke dienten – wohl im Kontext der Entlohnung. Zumindest zwei der Steinmetze waren vom Bau des Erdgeschosses bis zum Abschluss des ersten Obergeschosses, also über 12 Jahre, auf der Baustelle tätig.

Ansicht des Westturms

Kartierungen

Rationelle Baupraxis
Beim Turm von St. Dionysius wurde die Quaderhöhe durch Versatzzeichen gekennzeichnet. Auf dem Bildplan sind die Steine der Turmwand entsprechend ihrer Höhe farbig markiert. Es wird anschaulich, dass die Bauleute bestrebt waren, gleich hohe Quader in einer Lage zu versetzen. Der regelhafte Versatz erübrigte aufwändige Anpassungen beim Vermauern. Die Darstellung vergegenwärtigt, wie rationell die Turmbaustelle in der Zeit um 1500 organisiert war.

Spuren des Baugerüstes
Ebenfalls eingezeichnet sind die Gerüstholzlöcher, in denen im Bauprozess die Rüsthölzer steckten. Die Hölzer standen aus der Mauer heraus und trugen die Bretter der gerade benötigten Gerüstebene. Nach Entfernung der Rüsthölzer wurden die Löcher verschlossen.

Kartierung der Steinhöhen, Arbeitsstand

Zum Weiterlesen

Bisherige Forschungsergebnisse

Michael Huyer: Zur Baugeschichte der Kirche St. Dionysius in Rheine, in: Bürgersinn und Seelenheil: Der Kirchenschatz von St. Dionysius in Rheine, hrsg. v. Mechthild Beilmann-Schöner, Thomas Fusenig, Oppenheim am Rhein 2020, S. 109-141.