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Blick von Südosten auf die Kirche

Die Dachwerke der ev. Kirche in Borgholzhausen – ein Beispiel westfälischer Bauforschungsgeschichte

Denkmal des Monats
Januar 2023

Einblick in die Bauforschung

Im Sommer 2023 soll die Sanierung der Dachwerke der evangelischen Kirche in Borgholzhausen beginnen. Zu den bauvorbereitenden Maßnahmen zählt auch eine bauhistorische Kurzuntersuchung durch die Bauforschung der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen. Über dem Chor, dem Langhaus und den beiden Querhausarmen befinden sich ähnlich aufgebaute Dachwerke aus Eichenholz, deren konstruktive Besonderheiten auf ein hohes Alter schließen lassen. Zudem beschäftigten sich die LWL-Bauforscher Peter Barthold und Frank Högg auch mit den Dachwerken über dem Westturm und dem Dachreiter, sowie der hölzernen Innenkonstruktion des Turms einschließlich des Glockenstuhls. Zur Datierung der verschiedenen Konstruktionen wurden insgesamt 16 Bohrproben aus den verbauten Hölzern entnommen und dendrochronologisch ausgewertet. Durch einen Abgleich der Jahresringe kann mit dieser Methode das Alter von Hölzern bestimmt werden.

 

Blick von Südosten auf die Kirche. Deutlich kann man die unterschiedlichen Höhen der Dachwerke über dem Westturm mit dem Dachreiter, dem Langhaus mit dem südlichen Querhausarm und dem Chor erkennen. Schneitelbäume wie im Vordergrund, sind schon auf den ältesten Fotos aus der Zeit um 1900 erkennbar.

Erneuerung der Holzkonstruktionen im Westturm um 1665

Der Westturm weist, zwischen zwei Schildgiebeln aus Bruchstein, ein eichenes Sparrendach mit Kreuzstreben auf. Die dendrochronologische Untersuchung ergab, dass dieses Dachwerk 1665 oder kurz danach verzimmert worden ist. Auch ein stark dimensionierter Tragbalken unterhalb des Glockenstuhls wurde in die gleiche Zeit datiert. Ob diese umfangreiche Baumaßnahme im Zusammenhang mit Schäden aus dem 30-jährigen Krieg steht, muss noch geklärt werden. Der offenbar deutlich jüngere, in das Turmdachwerk gestellte Dachreiter konnte nicht datiert werden.

 

Blick von Nordwesten auf die Kirche und den umgebenden Kirchplatz. Auf der Nordseite des Westturms ist die aus der Wand auskragende Wendeltreppe bis heute der einzige Aufgang zum Glockengeschoss und sämtlichen Kirchdachwerken.

Datierungsprobleme der Dachwerke über Chor, Langhaus und Querhäusern – 1980 und heute

Von den insgesamt acht Proben aus den Dachwerken über dem Chor, dem Langhaus und den beiden Querhausflügeln konnte 2022 nur eine Probe sicher datiert werden. Sie stammt aus einem über dem Chor wiederverwendeten Balkenabschnitt und wurde auf „1336+12/-5“ bestimmt. Eine 1980 aus demselben Balken entnommene Probe ergab allerdings ein Fälldatum „um 1492“. Die zwei unterschiedlichen Datierungen des gleichen Holzes zeigen den Kern des methodischen Problems. Nicht nur das Klima hat Auswirkung auf das Wuchsverhalten der Bäume, sondern auch deren Standort. In diesem Fall wuchsen offenbar die meisten der für die Dachwerke zu Bauholz verarbeiteten Eichen in konstant sehr wasserreichen Gegenden und bildeten daher trotz klimatischer Temperatur- und Niederschlagsschwankungen gleichmäßig breite Jahrringe aus. Dieser Befund verringert allerdings drastisch die auf den Breitenschwankungen der Jahrringe beruhende Datierungsmöglichkeit solcher Hölzer.
Damit steht die LWL-Bauforschung heute noch vor dem gleichen Problem wie 1980 Manfred Neugebauer, der schon damals versuchte, die Dachwerke zu datieren. Anfang der 1980er-Jahre befand sich die Dendrochronologie in Westfalen allerdings noch in den Kinderschuhen. So ließen sich im Sauerland und im Weserbergland bereits einige Gebäude datieren. Je weiter aber die Objekte im Westen lagen, umso seltener konnten Proben bestimmt werden. Für den Bereich Teutoburger Wald lagen, ebenso wie für das Kern- und das Westmünsterland, damals keine regionalen Vergleichswerte vor.

Problemlösung durch Nachauswertung der Proben von 1980?

Ein Ansatz, um zu weiteren sicheren Datierungen zu gelangen, könnte die Nachauswertung aller 1980 entnommenen Holzproben auf der Basis der seitdem deutlich aussagefähigeren Referenzchronologien für Westfalen sein. Nach Auflösung des Labors ist der Verbleib der 61 Proben von 1980 jedoch unklar. Um solche Nachauswertungen auch späteren Generationen noch zu ermöglichen, hat die LWL-Bauforschung bereits seit 1985 alle von ihr beauftragten dendrochronologischen Proben archiviert.

Das Arbeitsheft von 1981

Bereits 1975/76 fanden im Zusammenhang mit dem Einbau einer Fußbodenheizung in der Kirche umfangreiche archäologische Untersuchungen statt. Die Ergebnisse wurden 1981 von dem Grabungsleiter Uwe Lobbedey unter dem Titel „Borgholzhausen – Archäologie einer westfälischen Kirche“ veröffentlicht. Dies war insoweit ungewöhnlich, da sich Publikationen der Denkmalpflege bis dahin meist mit reich dekorierten Bischofs- oder Klosterkirchen beschäftigt hatten. Die im Kirchenraum ergrabenen Reste von drei kleinen Vorgängerkirchen des 9. bis 12. Jahrhunderts zeigten nachdrücklich, wie wichtig baubegleitende Untersuchungen auch bei zunächst unscheinbaren Pfarrkirchen sind. Ungewöhnlich war für die damalige Zeit auch der Versuch Manfred Neugebauers, über die Erforschung der Dachwerke und den Einsatz der Dendrochronologie weitere Erkenntnisse zur Baugeschichte der Kirche zu erlangen.

Der Blick in Dachgeschossebene oberhalb der Kehlbalken

Eine europaweit einzigartige Dachwerkkonstruktion

Die vier Dachwerke über Chor, Langhaus und den beiden Querhäusern sind Sparrendächer mit zwei Kehlbalken und stehenden Stuhlkonstruktionen. Bemerkenswert ist allerdings, dass im Chor- und Langhausdach in jedem Sparrengebinde oberhalb des unteren Kehlbalkens schräg von seiner Mitte zu den Sparren laufende Sparrenstützbänder eingebaut sind. Dadurch ergeben sich im Querschnitt optisch zwei weitere Dreiecke. Die Sparren sind ungewöhnlicherweise an den Fußpunkten mit Versatz in die Stichbalken und Sattelbalken gezapft worden. An diesem Detail zeigt sich, dass die Zimmerleute vor Jahrhunderten deutlich mehr bauliche Lösungen kannten, als heute überliefert ist. Die Einzigartigkeit der Konstruktion bestätigte die Vorstellung der Borgholzhauser Kirchendachwerke auf der internationalen Konferenz des renommierten Arbeitskreises für Hausforschung in Konstanz 2022. Niemand der über einhundertzwanzig Teilnehmenden aus ganz Europa kannte Vergleichbares.

 

Rechts: Der Blick in Dachgeschossebene oberhalb der Kehlbalken erinnert mit den schräg gestellten Sparrenstützbändern noch an hochmittelalterliche Dachwerke, wie das der Stiftskirche Cappenberg aus dem 12. Jahrhundert. Foto: LWL/Brückner

 

Oben: Detailaufnahme eines Fußpunktes der südlichen Dachseite des Langhausdachwerks. Besonders für die Versätze an den Fußpunkten der Sparren und Aufschieblinge fehlen bisher Vergleichsbeispiele. Foto: LWL/Barthold

Autor

Peter Barthold
Bauforschung

peter.barthold@lwl.org

Tel: 0251 591-4054

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