Die Dachwerke der ev. Kirche in Borgholzhausen – ein Beispiel westfälischer Bauforschungsgeschichte
Denkmal des Monats
Januar 2023
Einblick in die Bauforschung
Im Sommer 2023 soll die Sanierung der Dachwerke der evangelischen Kirche in Borgholzhausen beginnen. Zu den bauvorbereitenden Maßnahmen zählt auch eine bauhistorische Kurzuntersuchung durch die Bauforschung der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen. Über dem Chor, dem Langhaus und den beiden Querhausarmen befinden sich ähnlich aufgebaute Dachwerke aus Eichenholz, deren konstruktive Besonderheiten auf ein hohes Alter schließen lassen. Zudem beschäftigten sich die LWL-Bauforscher Peter Barthold und Frank Högg auch mit den Dachwerken über dem Westturm und dem Dachreiter, sowie der hölzernen Innenkonstruktion des Turms einschließlich des Glockenstuhls. Zur Datierung der verschiedenen Konstruktionen wurden insgesamt 16 Bohrproben aus den verbauten Hölzern entnommen und dendrochronologisch ausgewertet. Durch einen Abgleich der Jahresringe kann mit dieser Methode das Alter von Hölzern bestimmt werden.
Blick von Südosten auf die Kirche. Deutlich kann man die unterschiedlichen Höhen der Dachwerke über dem Westturm mit dem Dachreiter, dem Langhaus mit dem südlichen Querhausarm und dem Chor erkennen. Schneitelbäume wie im Vordergrund, sind schon auf den ältesten Fotos aus der Zeit um 1900 erkennbar.
Datierungsprobleme der Dachwerke über Chor, Langhaus und Querhäusern – 1980 und heute
Von den insgesamt acht Proben aus den Dachwerken über dem Chor, dem Langhaus und den beiden Querhausflügeln konnte 2022 nur eine Probe sicher datiert werden. Sie stammt aus einem über dem Chor wiederverwendeten Balkenabschnitt und wurde auf „1336+12/-5“ bestimmt. Eine 1980 aus demselben Balken entnommene Probe ergab allerdings ein Fälldatum „um 1492“. Die zwei unterschiedlichen Datierungen des gleichen Holzes zeigen den Kern des methodischen Problems. Nicht nur das Klima hat Auswirkung auf das Wuchsverhalten der Bäume, sondern auch deren Standort. In diesem Fall wuchsen offenbar die meisten der für die Dachwerke zu Bauholz verarbeiteten Eichen in konstant sehr wasserreichen Gegenden und bildeten daher trotz klimatischer Temperatur- und Niederschlagsschwankungen gleichmäßig breite Jahrringe aus. Dieser Befund verringert allerdings drastisch die auf den Breitenschwankungen der Jahrringe beruhende Datierungsmöglichkeit solcher Hölzer.
Damit steht die LWL-Bauforschung heute noch vor dem gleichen Problem wie 1980 Manfred Neugebauer, der schon damals versuchte, die Dachwerke zu datieren. Anfang der 1980er-Jahre befand sich die Dendrochronologie in Westfalen allerdings noch in den Kinderschuhen. So ließen sich im Sauerland und im Weserbergland bereits einige Gebäude datieren. Je weiter aber die Objekte im Westen lagen, umso seltener konnten Proben bestimmt werden. Für den Bereich Teutoburger Wald lagen, ebenso wie für das Kern- und das Westmünsterland, damals keine regionalen Vergleichswerte vor.
Problemlösung durch Nachauswertung der Proben von 1980?
Ein Ansatz, um zu weiteren sicheren Datierungen zu gelangen, könnte die Nachauswertung aller 1980 entnommenen Holzproben auf der Basis der seitdem deutlich aussagefähigeren Referenzchronologien für Westfalen sein. Nach Auflösung des Labors ist der Verbleib der 61 Proben von 1980 jedoch unklar. Um solche Nachauswertungen auch späteren Generationen noch zu ermöglichen, hat die LWL-Bauforschung bereits seit 1985 alle von ihr beauftragten dendrochronologischen Proben archiviert.
Eine europaweit einzigartige Dachwerkkonstruktion
Die vier Dachwerke über Chor, Langhaus und den beiden Querhäusern sind Sparrendächer mit zwei Kehlbalken und stehenden Stuhlkonstruktionen. Bemerkenswert ist allerdings, dass im Chor- und Langhausdach in jedem Sparrengebinde oberhalb des unteren Kehlbalkens schräg von seiner Mitte zu den Sparren laufende Sparrenstützbänder eingebaut sind. Dadurch ergeben sich im Querschnitt optisch zwei weitere Dreiecke. Die Sparren sind ungewöhnlicherweise an den Fußpunkten mit Versatz in die Stichbalken und Sattelbalken gezapft worden. An diesem Detail zeigt sich, dass die Zimmerleute vor Jahrhunderten deutlich mehr bauliche Lösungen kannten, als heute überliefert ist. Die Einzigartigkeit der Konstruktion bestätigte die Vorstellung der Borgholzhauser Kirchendachwerke auf der internationalen Konferenz des renommierten Arbeitskreises für Hausforschung in Konstanz 2022. Niemand der über einhundertzwanzig Teilnehmenden aus ganz Europa kannte Vergleichbares.
Rechts: Der Blick in Dachgeschossebene oberhalb der Kehlbalken erinnert mit den schräg gestellten Sparrenstützbändern noch an hochmittelalterliche Dachwerke, wie das der Stiftskirche Cappenberg aus dem 12. Jahrhundert. Foto: LWL/Brückner
Oben: Detailaufnahme eines Fußpunktes der südlichen Dachseite des Langhausdachwerks. Besonders für die Versätze an den Fußpunkten der Sparren und Aufschieblinge fehlen bisher Vergleichsbeispiele. Foto: LWL/Barthold