Die romanische Hallenkrypta des Paderborner Doms
Denkmal des Monats
Oktober 2023
Ein neues Ergebnis der sanierungsbegleitenden Bauforschung
Von 2022 bis 2023 wurde die Krypta des Paderborner Doms aufwändig restauriert und als Alltagskirche eingerichtet. Die Bauforschung der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen erhielt Einblick in die Baustelle. Es zeigte sich, dass auch an einem intensiv beforschten Denkmal noch grundlegende Entdeckungen möglich sind. Wichtigstes Forschungsergebnis ist, dass die romanische Hallenkrypta in der heutigen Ausdehnung während eines durchlaufenden Bauprozesses errichtet wurde. Sie kann nicht in zwei Phasen mit zwischenzeitlichem Teilabbruch aufgetrennt werden, wie es bisher vermutet wurde. Arbeitsspuren bezeugen die Entstehungsgeschichte.
Paderborn, Dom, die Hallenkrypta zu Beginn der Sanierung. Blick von der Vierungskrypta durch die Chorkrypta in Richtung der Ostwand. Foto: LWL-DLBW/Flüge, 2022
Die ehemalige Arkade zwischen Vierungs- und Chorkrypta
Die Paderborner Hallenkrypta bildet ein dreischiffig gegliedertes, langes Rechteck mit sieben Freistützenpaaren und Kreuzgratgewölben. Ihr westlicher Teil liegt unter der Vierung, der östliche unter dem Hochchor des Doms. Ursprünglich waren Vierungs- und Chorkrypta durch eine Arkadenmauer mit drei Bogenöffnungen getrennt; diese Bögen und die darauf lastenden Gewölbe wurden im 13. Jahrhundert durch einen Teileinsturz des Doms zerstört. Die Gewölbe wurden repariert und teils erhöht, die Arkade aber nicht wiedererrichtet. Lediglich ihre Wandpfeiler an Nord- und Südwand der Krypta blieben erhalten. Sie tragen aussagekräftige Bauspuren.
Grundriss der Hallenkrypta mit Rekonstruktion der Stützenstellung vor dem Einsturz des 13. Jahrhunderts einschließlich der Pfeiler der Arkadenmauer (rot). Der Säulenabstand ist in beiden Richtungen allein nach dem exakten Achsabstand der erhaltenen Wandpfeiler an der Westwand rekonstruiert. Er passt auffallend gut zum Befund der Arkadenmauer. Vermessung/Dokumentationsgrundlage: focus GmbH Leipzig, 2011. Rekonstruktion und Bearbeitung: LWL-DLBW/Flüge/Hensgens, 2022
Zwei Bauphasen?
Vor allem wegen der tiefen Lage der Wandpfeiler-Kapitelle im Verhältnis zu den aktuellen Gewölben wurde die Arkadenmauer bislang einer früheren Bauphase als die Chorkrypta zugeordnet. Während die Forschung der 1950er-Jahre die Arkadenmauer Bischof Meinwerk (reg. 1009–1036) zuschrieb, erkannte Uwe Lobbedey 1978–80, dass die Arkade dem Dom des Bischofs Imad (reg. 1051–1076) zugerechnet werden muss. Um – etwas vereinfacht gesagt – die Chorkrypta weiterhin als jüngere Bauperiode von den Arkaden absetzen zu können, wurde ihr Bau mit Bischof Heinrich von Werl (reg. 1084–1127) in Verbindung gebracht. Verschiedene Baubefunde wurden als Abrissspuren einer vermuteten Imad-Vorgängerkrypta gedeutet. Diese wäre dann aber nach höchstens 30 Jahren Standzeit schon wieder abgebrochen worden; außerdem fehlt die Überlieferung eines Weihedatums.
Südlicher Wandpfeiler der ehemaligen Arkadenmauer zwischen Vierungs- und Chorkrypta. Nach links Wand- und Gewölbeanschluss der Chorkrypta auf erhaltenem Bankettrest. Foto: LWL/Flüge, 2022
Keine Spur eines Abbruchs…
Zunächst zeigte sich 2022, dass die Oberkante der Sockelzone keine Abbruchkrone darstellt, sondern ein in Chor- und Vierungskrypta durchlaufendes Bankett bildete, auf dem die Wandpfeiler der Chorkrypta standen. Auch zwischen der Chorkrypta und den Wandpfeilern der Arkade wurde keine Abbruchspur festgestellt. Unterschiedliche Bearbeitungsspuren und die improvisiert wirkende tektonische Gestaltung an der Übergangsstelle weisen vielmehr auf eine Planänderung im Bauverlauf hin, die mit der Stellung der Wandflucht in der Chorkrypta zusammenhängt.
Südwand der Chorkrypta im 3. Joch von Osten, Orthofotografie mit durchlaufender Oberkante des 1915 bis auf die Wandfläche abgearbeiteten Banketts in der Höhe der Pfeilmarkierung. Das Bankett wurde wahrscheinlich als umlaufende Sitzbank genutzt. Foto: LWL-DLBW/Diedrich. Ausschnitt und Bearbeitung: LWL-DLBW/Flüge, 2022
Aussagekräftige Bearbeitungsspuren
Wie aber passen die hohen Gewölbe und der niedrige Bogenansatz der Arkadenmauer zusammen? Signifikante Details sind auch nach der Sanierung noch zu erkennen. Die Kämpferprofile der Wandpfeiler stehen nach zwei Seiten über, nämlich zur Vierungskrypta und zum Bogenansatz der ehemaligen Arkade. In Richtung der Chorkrypta bilden sie eine Fläche mit der Wand. Man nahm bisher an, dass die Profilsteine hier nachträglich abgearbeitet wurden. Jedoch wurde übersehen, dass die Profile an allen Kanten, auch an den Lagerfugen, einen Randschlag tragen, der in der vorgefundenen Form nur vor ihrem Einbau hergestellt worden sein kann. Dies bezeugt zusammen mit weiteren Beobachtungen am Mauerbild, dass die Pfeilerkapitelle von Beginn an asymmetrisch ausgebildet waren. Auf der Seite der Vierungskrypta saßen die zur Bauzeit niedrigeren Gewölbe auf den Profilsteinen auf. Auf der Seite der Chorkrypta standen sie bereits so hoch wie heute.
Südlicher Wandpfeiler der ehemaligen Arkade zwischen Vierungs- und Chorkrypta, Detail der Ostseite (zur Chorkrypta), bauzeitliche Oberfläche des Kämpferprofils mit Kantenschlag. Foto: LWL-DLBW/Flüge, 2022
Südlicher Wandpfeiler der ehemaligen Arkade, Detail der Nordseite (zum Bogen), bauzeitliche Oberfläche des Kämpferprofils mit Kantenschlag. Foto: LWL-DLW/Flüge, 2022
Architektur der Krypta um 1100
So wird erst die Rolle der Arkadenmauer für die Architektur des romanischen Doms an der Schwelle zur Hochromanik begreiflich, neben der Zonierung der Krypta nämlich vor allem, die einst unterschiedlich hohen Gewölbe von Vierungs- und Chorkrypta abzustufen – entsprechend der Stufe zwischen Vierung und Hochchor im Oberbau. Nach dem Einsturz im 13. Jahrhundert wurden die Gewölbe der Vierungskrypta nach Osten ansteigend repariert und direkt mit den Gewölben der Chorkrypta verbunden, wie es sich noch heute zeigt. Feine Bearbeitungsspuren und spezielle Details im Mauerbild indes können noch Auskunft zur früheren Baugestalt, zu Bauabläufen und zu historischen Verfahren und Arbeitsweisen geben, über die wir ansonsten nichts erfahren würden. Ihr Erhalt am Denkmal ist daher von höchstem Wert.
Längsschnitt durch die Krypta auf der Mittelachse (vgl. Grundriss). In Rot ergänzt sind fehlende Elemente des Bauzustands gegen 1100 (Säulen frei nach Vorbild der Chorkrypta sowie Arkadenpfeiler). Der bauzeitliche Höhenversprung der romanischen Gewölbedecke wurde nach dem Teileinsturz im 13. Jahrhundert durch ansteigenden Verlauf angeglichen. Vermessung/Dokumentationsgrundlage: focus GmbH Leipzig, 2011. Rekonstruktion und Bearbeitung: LWL-DLBW/Flüge, 2023