Verputz mir die Fassade, doch lass mir den Baudekor!
Zum Umgang mit Zeitschichten an einer Fachwerkfassade
Denkmal des Monats
Juli 2022
Gelungenes Beispiel
Die Fachwerkinstandsetzung an dem Baudenkmal Marktstraße 11 in Soest ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie im Rahmen denkmalpflegerischer Abstimmungen Detaillösungen entwickelt und scheinbar widersprüchliche Befunde wieder zu einem Ganzen vereint werden können.
Soest, Marktstraße 11, Hauptansicht vor der Fachwerkinstandsetzung (2017). Foto: Untere Denkmalbehörde Stadt Soest/Berendes.
Charakterisierung und Baugeschichte
Das repräsentative, zweigeschossige Fachwerkgebäude auf hohem Sockelgeschoss steht in städtebaulich markanter Lage an einer platzartig geweiteten Kreuzung der Altstadt. Das Gebäude ist zum Platz hin mit einem giebelständigen und einem traufständigen Bereich in zwei Baukörper gegliedert. Der ältere giebelständige Kernbau wurde mit vier Gebinden als Stockwerksbau mit viermaliger Vorkragung und einem straßenseitig noch vorhandenen Satteldach um 1660 erbaut. Der jüngere, traufständige Erweiterungsbau wurde im rechten Winkel zum Kernbau und mit angepasster Geschoss- und Traufhöhe, jedoch einem niedrigeren First mit einem Krüppelwalmdach 1781 errichtet und 1808 nochmals vergrößert.
Detail eines Füllholzes mit Perlstabfries und Blütendekor des Fachwerkgebäudes aus dem 17. Jahrhundert nach der Entfernung des Putzes (2018). Foto: LWL-DLBW/Kretzschmar.
Instandsetzung und Umgang mit dem Erscheinungsbild
Die in den Jahren 2020 und 2021 durchgeführten Maßnahmen starteten mit dem Ziel, die durch einen flächendeckenden Zementputz entstandenen gravierenden Schäden am Fachwerk in traditioneller Handwerkstechnik und materialgerecht zu beheben. Unter dem abgenommenen Zementputz kam nicht nur der Baudekor mit reichem Schnitzwerk zum Vorschein, sondern auch ein älterer Kalkputz, der sowohl in den Gefachen als auch auf den Fachwerkhölzern zu finden war. Dieser war vermutlich im Rahmen der Gebäudeerweiterung zur Vereinheitlichung und zum Schutz der Fassaden auf den gesamten Flächen aufgebracht worden.
Detail eines Füllholzes mit Zangenfries aus dem 17. Jahrhundert (2018). Foto: LWL-DLBW/Kretzschmar
Bauhistorische Stellung
Der schlechte Zustand der historischen Backsteinoberflächen der Gefachfüllungen ließ denkmalfachlich nur den Schluss zu, dass diese zum Schutz vor der Witterung erneut eine Kalkputzschicht erhalten sollten. Eine besondere Herausforderung stellten hierbei die Übergangsbereiche zwischen den bündig im Gefach sitzenden Füllungen mit der dann vorspringenden Putzebene und die im Bereich der Vorkragungen befindlichen Zierhölzer dar. Anhand von Musterflächen wurden diese handwerklich anspruchsvollen Übergänge gelöst, indem die Putzkanten unterhalb der Vorkragungen auslaufend und darüber mit einer klaren Abschlusskante modelliert wurden.
Insbesondere sollten auch die Knaggen und die zum Teil schadhaften Füllhölzer sowie das Giebeldreieck mit Inschrift gesichert und der fachgerechte Umgang abgestimmt werden. Die mit Schnitzereien verzierten Füllhölzer wiesen teilweise Oberflächen auf, die millimetertief verwittert waren und die eine Art Würfelbruch aufzeigten. Auch an den Balkenköpfen waren teils stark, teils nur oberflächlich geschädigte Bereiche vorhanden. Dieses Schadensbild erforderte stellenweise eine Neufertigung des Schnitzwerks. Das Holz der erhaltungsfähigen Bereiche wurde mit einem in Lösemittel gelösten Kunstharz im Streichverfahren gefestigt. Für den Farbauftrag musste ein Anstrichsystem Verwendung finden, das mit dem Holzfestigungsmittel kompatibel ist. Ein Kunstharzprodukt mit einem gewissen Anteil an Leinöl erwies sich als geeignet. Zur Vereinheitlichung der Fassadenansicht erhielt der sichtbar zu belassende Baudekor schließlich einen weißen Anstrich, damit er sich in das Bild der Putzfassaden einfügt.
Es wäre schwer vermittelbar gewesen, den reichen Dekor an Füllhölzern, Knaggen und einer Inschrift mit Ornamenten im Giebeldreieck mit dem kunstvollen Schnitzwerk wieder mit einer Putzschicht zu überdecken.
Die Hauptschauseite des Baudenkmals zeigt nun wieder die vereinheitlichte und zeittypische Putzfassade der Zeit um 1800, ohne den markanten Bauschmuck des 17. Jahrhunderts zu verbergen. Die interessante Baugeschichte ist somit bei genauem Hinsehen unmittelbar an der Fassade ablesbar.