Zeitschichten eines Denkmals
Die Wiederherstellung des Jüdischen Friedhofs in Warburg 1945–1949
Denkmal des Monats April 2022
Ein erschütterndes Monument
Es ist ein erschütterndes Monument, das von den während des NS-Regimes verübten Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung ebenso erzählt wie von der Neuorientierung nach 1945: Das auf dem jüdischen Friedhof in Warburg errichtete Mahnmal wurde im September 1945 in Form einer stumpfen Pyramide aus den Bruchstücken der Gräber gebildet.
Die Inschrifttafel „Zum Andenken an die Opfer | der verhängnisvollen Jahre 1933–1945 | Die Überlebenden des Kr. Warburg“ lässt das Bemühen um Versöhnung erahnen und vermeidet mit dem Wort „verhängnisvoll“ eine Anklage der Verbrechen. Fast beschwörend wirken die Worte auf den Grabsteinfragmenten: „Friede“, „glücklich“, „Gerechten“. Neben hebräischen Schriftzügen sind Symbole zu erkennen: Davidsterne, segnende Priesterhände, Palmwedel.
Auf einer Schmalseite findet sich die Datierung „Erbaut im September 1945“, mit der Bezeichnung: „Proj.: Dipl. Ing. Edmund Balsam, Krakau | Ausgef.: Hch. Wiegand, Warburg“.
Jüdischer Friedhof Warburg, Vorderseite des Mahnmals 2022. Foto LWL/Heuter
Die Tätigkeit von Edmund Balsam für die Jüdische Gemeinde Warburg
Über den Projektleiter Edmund Balsam (1888–1954) war bis vor wenigen Monaten wenig bekannt. In Wilamowice (ehem. Wilmesau, Schlesien) geboren, war er nach dem Studium der Geodäsie in Lemberg (damals polnisch Lwów, heute ukrainisch Lwiw) als Landvermesser im Raum Krakau tätig. Als polnischer Offizier wurde er im 2. Weltkrieg im Offizierslager Dössel (Oflag VI B) bei Warburg interniert. Nach Kriegsende stellte er im Auftrag der jüdischen Gemeinde die jüdischen Friedhöfe in Warburg, Höxter und Beverungen wieder her. 1949 emigrierte Balsam in die USA, wo er 1954 verstarb.
Neben der Errichtung des Mahnmals koordinierte Balsam die Wiederherstellung des Warburger Friedhofs insgesamt. Im Burggraben am Rande der Warburger Neustadt angelegt, gehört der Friedhof mit seinen 285 Grabstätten zu den großen und bedeutenden Beispielen seiner Art in Westfalen. Viele Steine wurden in der Pogromnacht des 9. November 1938 erheblich beschädigt. Einige Steine ließ Balsam fragmentiert wiedererrichten, viele aber waren vollständig verloren. Aus dem Kunststein Zechit wurden 54 Ersatzsteine, nur mit Namen, Lebensdaten und Davidstern versehen, neu gebildet, die Gräber ließ er mit Randsteinen einfassen.
Damit hat Balsam dem Friedhof eine neue Zeitschicht hinzugefügt. Viele Denkmäler verbleiben ja nicht in einem „Originalzustand“, sondern haben im Laufe der Zeit Veränderungen erfahren, die selbst zum Denkmalwert beitragen können.
Rechts: Steine aus Zechit Doppel- und Einzelgräber, Einfassungen. Unten: Kindergräber. Fotos: LWL/Heuter
Das Haus der Ewigkeit erhalten
Heute zeigt der Friedhof hohen Sanierungsbedarf. Statische Sicherungen sind nötig, Inschriften drohen verloren zu gehen. Daher hat die Stadt Warburg zusammen mit den Fachreferaten der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen ein Sanierungskonzept erarbeiten lassen, um weitere Substanzverluste zu vermeiden und den derzeit gesperrten Friedhof wieder zugänglich machen zu können. Auch ein gärtnerisches Pflegekonzept ist erforderlich, denn anders als oft gemutmaßt, sind jüdische Friedhöfe nicht dem Verfall preiszugeben, sondern die Gräber sind für die Ewigkeit geschaffen: „Beth Olamin“ ist das Haus der Ewigkeit. Dass im jüdischen Kultus keine Grabpflege im christlichen Sinne üblich ist, kann keine Entschuldigung für Untätigkeit sein: Viele Angehörige sind in den Vernichtungslagern umgebracht worden, etliche sind emigriert, somit ist es unser aller Verantwortung, die Erinnerung an die Menschen zu bewahren, die durch den Rassenwahn unserer Gesellschaft entrissen wurden.
Abschalendes Schriftfeld am linken Bildrand, in der Mitte vorn Rreduziert zusammengesetzter Stein. Foto: LWL/Heuter