Hospital und Kirche der Barmherzigen Brüder – Die Clemens-Kirche in Münster
Ein Ausflug von Rom in die Albaner Berge lohnt sich jederzeit, nicht nur wegen der Weine aus den Castelli Romani. Auf dem Weg von Castel Gandolfo zum Nemi-See gelangt man über einen gewaltigen Viadukt in das Herz von Ariccia. Gegenüber dem Palazzo Chigi erhebt sich die Kirche St. Maria Assunta in Cielo, ein Werk Gian Lorenzo Berninis aus den Jahren 1661-1665. Schon bei der Anfahrt laden aus der Ferne Kuppel und Laterne dieser Kirche, aber auch die Kirchtürme, zu Vergleichen ein. Hat man das nicht schon einmal gesehen?
Nähere Betrachtungen führen uns auf die Spuren Johann Conrad Schlauns. Leider wissen wir nicht, ob er während seines Rom-Aufenthaltes um 1722 überhaupt je in die Albaner Berge gewandert ist oder sich nur an die bekannten Stichwerke gehalten und „abgekupfert“ hat. Die Clemenskirche in Münster demonstriert jedenfalls die überragende künstlerische Auffassungsgabe Schlauns und seine kreative Freude, Anregungen aus verschiedenen Bauten großer Vorbilder in neue Zusammenhänge zu komponieren.
Die Clemens-Kirche, ursprünglich das Gotteshaus von Kloster und Hospital der Barmherzigen Brüder, vereint Ideen und Formen aus Berninis Kirchen in Ariccia und in Rom (S. Andrea al Quirinale). Borrominis Kirchen S. Ivo alla Sapienza und S. Carlo alle quattro Fontane lieferten ebenfalls Anregungen. So brachte Schlaun mit diesem bemerkenswerten Bau tatsächlich südlichen Schwung nach Münster. Er hat eine längere Vorgeschichte.
Großes Bild: Clemenskirche Münster von Nordosten. © Andreas Lechtape | www.andreaslechtape.de
Kleines Bild: Santa Maria Assunta in Cielo in Arricia. © Siby Fanciulli | Adobe Stock
Kloster und Hospital der Barmherzigen Brüder
Schon 1732 arbeitete Schlaun im Auftrag des Kurfürsten Clemens August von Wittelsbach an dem Projekt von Kloster und Hospital der Barmherzigen Brüder im Rahmen der Residenzbauten am Neuplatz, dem heutigen Schlossplatz. Aufgrund innenpolitischer Verwerfungen unterblieb die Ausführung. Im Nachgang entwarf er dann einen Bau für den Bocksplatz nahe der heutigen Münzstraße, der ebenfalls nicht realisiert wurde. 1744 endlich konnte man nach dem Erwerb eines Bauplatzes an der heutigen Klemensstraße, in einem beengten Viertel mit schmalen Gassen, mit der Realisierung beginnen.
Die Barmherzigen Brüder (It. Fatebenefratelli) sind ein im 16. Jahrhundert gegründeter Männerorden, der in seinen Häusern reguläre Konvente mit den Aufgaben und Räumlichkeiten der Krankenpflege verband. Schlaun entwarf für die Stiftung seines Landesherren einen zweigeschossigen, unterkellerten Bau mit vier Flügeln in unregelmäßiger Zuordnung, der alle Bedarfe des klösterlichen Lebens mit denen der Versorgung und Pflege von erkrankten Männern verband: Krankensäle und -zimmer, Apotheke, Laboratorium, Zellen für psychisch Erkrankte. Selbst ein Leichenkeller wurde nicht vergessen.
Bild: Johann Conrad Schlaun (1695-1773), 1. Entwurf für die Clemenskirche in Münster, Grundriss Erdgeschoss, 1745. Foto: LWL-Museum für Kunst und Kultur, Westfälisches Landesmuseum, Münster
Ein bewegtes Raumbild
Die Ausgestaltung von St. Clemens wurde bedeutenden Künstlern jener Zeit übertragen und sie zeigt auch schon Formen des bayerischen Rokokos. Die Kuppel malte Johann Adam Schöpf aus Regensburg aus, als Stuckateur wirkte der Wessobrunner Jakob Rauch. So entstand ein bewegtes Raumbild, dass der Verherrlichung des Hl. Clemens gewidmet war und ein schlüssiges Bildprogramm vom Altar bis in die Kuppelspitze präsentierte. 1751 war St. Clemens ausweislich der Widmung des Stifters über dem Portal weitgehend fertig. Die Kirche wurde aber erst 1753 geweiht und blieb über etwa 190 Jahre ein religiöser Kristallisationspunkt in Münsters Innenstadt.
Zerstörung und Wiederaufbau
Schon der berüchtigte Bombenangriff vom 10. Oktober 1943 zerstörte die Hospitalgebäude sowie den Turm und das Dach von St. Clemens. Am 30. September 1944 brachten Volltreffer die Kuppel zum Einsturz. Nach dem Krieg blieben die Ruinen jahrelang ungeschützt jeder Witterung ausgesetzt. Erst 1955 entschloss man sich zum Wiederaufbau zumindest der Kirche. Leider verzichtete man auf Flügelbauten des Hospitals und gab somit die geniale städtebauliche Lösung Schlauns auf. Endlich erkannte man, dass die schon vor dem Krieg erstellten Farbaufnahmen der Kirche die Rekonstruktion des Innenraumes und des Gewölbefreskos möglich machten. Die Wiener Künstler Paul und Gerta Reckendorfer und Herbert Pass schufen auf dieser Grundlage das Gewölbefresko neu. Die dokumentierte Stuck-Ausstattung wurde z.T. nach den vorhandenen Originalplänen rekonstruiert. Durch den Verzicht auf die Flügelbauten wurde der ursprünglich eingezogene Turm zum freistehenden Campanile. Die schöne Loreto-Kapelle konnte nicht wieder errichtet werden. Die Fläche des Hospitals wird heute weitgehend als städtischer Park genutzt, der 1989 als Reminiszenz an die Schlaun-Zeit nach Plänen des Architekten Harald Deilmann zusammen mit dem Landschaftsarchitekten H. G. Schulten neu angelegt wurde - und die ehemaligen Kloster- und Krankenhausflügel nachzeichnet
Als man im Herbst 1973 des 200. Todestages von Johann Conrad Schlaun gedachte, wurde in Verbindung mit der großen Ausstellung im Museum am Domplatz die Clemens-Kirche erstmals wieder für Besucher geöffnet. Es fehlte noch einiges an der Einrichtung, aber das lebhafte Raumbild war neu erstanden und strahlte . Ein alter Münsteraner, der vor dem Zweiten Weltkrieg als Rats-Gymnasiast in St. Clemens oft die Messe gedient hatte, bemerkte gegenüber dem Verfasser: „An dem Abend war für mich der Krieg endgültig vorbei!“ So ist Schlauns Kirche neben dem Prinzipalmarkt ein Denkmal für den Willen der Münsteraner zum Wiederaufbau nach den Verheerungen des Zweiten Weltkrieges. Sie steht auch für die europaweiten Verbindungen im Zeitalter des Barock, die Johann Conrad Schlaun und seine Arbeiten prägten.
Hans-Peter Boer
Bild unten: Clemenskirche von Süden. © Andreas Lechtape| www.andreaslechtape.de
Adresse
An der Clemenskirche 14
48143 Münster
Besuch
Die Clemenskirche ist täglich von 10 bis 16 Uhr (im Sommer bis 17 Uhr) geöffnet.
Sie kann nur bis zu einem Innengitter betreten werden, von dem aus der Innenraum aber recht gut sichtbar ist.
Eine Außenbesichtigung ist jederzeit möglich.