Johann Conrad Schlaun und Nottuln
Nottulns Ruf als „malerischer Ort“ beruht auf einem historischen Ereignis aus der Lokalgeschichte, nämlich der Brandkatastrophe vom 3. Mai 1748. Damals erfasste ein gewaltiges Schadenfeuer weite Bereiche des Ortes, nicht nur den heutigen inneren Ortskern. Der aber ist deckungsgleich mit dem mittelalterlichen Klosterbezirk und der frühneuzeitlichen Immunität des „Hochadeligen Freiweltlichen Kaiserlichen Damen-Stiftes“ Nottuln. Dieser Bezirk erhielt zwischen 1748 und 1755 seine Prägung durch Johann Conrad Schlaun.
Großes Bild: Die von Schlaun geplante „Große Allee“, heute Stiftsstraße mit der Alten Amtmannei und dem Turm von St. Martinus.
© Andreas Lechtape | www.andreaslechtape.de
Schlaun-Denkmal in Nottuln (Rudolf Breilmann, 1995).
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Wiederaufbau des Stiftsbezirks
Es waren genau diese Verbindungen zu den adeligen Familien der westfälischen Hochstifte und auch des Rheinlandes, die Nottuln eine gewisse Bedeutung gaben. Hier wie in anderen vergleichbaren Stiften brachte der westfälische Adel seine Töchter unter, sei es zur jugendlichen Erziehung, sei es zur standesgemäßen Unterbringung bis zu einer Heirat, - oder eben lebenslang. Nachdem in Nottuln im 16. Jahrhundert das „gemeinsame Leben“ der Kanonissen aufgegeben worden war, hatten die Familien das Recht bekommen, sich eigene Kurien auf der Immunität zu errichten. Diese hoben sich natürlich durch Architektur, Bauweise und Inneneinrichtung deutlich von der übrigen Dorflage ab. Der Brand vom 3. Mai 1748 setzte nun die dem Stift Nottuln verbundenen Familien unter Zugzwang. Die große spätgotische Kirche St. Martinus & Magnus unterstand zwar der Äbtissin, war aber zugleich Pfarrkirche. Ihre Reparatur rief schon automatisch den zuständigen Baufachmann des Hochstifts Münster auf den Plan: Johann Conrad Schlaun. Der kam sechs Tage nach dem Brand zu einem Ortstermin nach Nottuln, um sich ein Bild von den Schäden zu machen. In seiner Begleitung waren der Maurermeister Rettenbacher und der Zimmermeister Schmitz. Beide Fachleute waren Schlaun länger verbunden, Rettenbacher wirkte z.B. bei der Errichtung der Pavillons von Schloss Clemenswerth auf dem Hümmling.
Ein Glücksfall für die Forschung sind die sehr genauen Rechnungen des Stiftsamtmanns Dominicus Otto Henricy, der auch eine „Acta betr. die Feuers=Brunst“ anlegte, aus der sich sehr genau nachzeichnen lässt, wie der Nottulner Stiftsbezirk, der heutige Ortskern, gestaltet wurde und seine Form gefunden hat. In den Papieren finden sich die Spuren Schlauns und seiner Mitarbeiter, die ab dem Frühling 1748 in Nottuln eintrafen und als ersten Schritt den Stiftsbezirk vermaßen. So sind vor allem die Vermessungs- und Planungsleistungen des Büros Schlaun dokumentiert, zeichnerisch ausgeführt von Fähnrich Boner und dem Landmesser Berteling. Prof K.E. Mummenhoff hat schon 1957 eine bis dahin übersehene Skizze der Vermessung des Stiftsbezirkes als wichtige Planungsgrundlage der Schlaunwerkstatt erkannt. Die Zeichnung hatte als Hinterklebung in den Unterlagen zum Schlossbau in Münster gedient.
Neuordnung des Stiftsbezirks
Schlauns wichtigste Idee war die in einer Zeichnung des Landmessers Bertelings so bezeichnete „Große Allee“. Wohl schon im Sommer 1748 hat der Baumeister den Plan gefasst, den teils unorganisch gewachsenen, nun auch größtenteils in der Feuersbrunst zerstörten mittelalterlichen Bestand aufzugeben und den gesamten Stiftsbezirk neu zu ordnen. So legte er als ersten und grundsätzlichen Planungsschritt von Ost nach West eine über 200 Meter lange Straße an, die ziemlich genau mittig zwischen dem Verlauf des Nonnenbaches und der Ost- West-Achse der Kirche ausgewiesen wurde. Alle geplanten Baulichkeiten in diesem Bereich bezogen sich irgendwie auf diese Straße.
Nun ist Schlauns Gesamt-Plan - insbesondere als Folge der Wirtschaftskrise des Siebenjährigen Krieges - nicht komplett verwirklicht worden. Das ursprünglich geplante große Wirtschaftsgebäude zur Abtei an der Südseite der Stiftsstraße ist nicht entstanden. Ebenso wenig wurde die neue Abtei gebaut, die im Anschluss an den Ost-Chor der Kirche geplant war. Die drei großen Kurien südlich des Nonnenbaches (Stiftsplatz 6 – 8) sind wohl wegen des Bach-Verlaufs und des Mühlenfalls auf dem historischen Bestand vor 1748 aufgesetzt. Sie erhielten qualitätvolle Inneneinrichtungen aus dem Büro Schlauns. Reizvoll ist das Problem des baulichen Abschlusses im Westen. Der Stiftsbezirk war nicht auf Durchfahrten hin angelegt, sondern auf Zielverkehr (Ost-West). Es gab ein Neubau-Projekt aus dem Büro Schlauns für eine Kurie der Familie von Twickel. Diese war offensichtlich für den Platz südlich des Kirchturms geplant und wurde nie realisiert. Sie hätte wahrscheinlich einen bemerkenswerten Platzschluss im Westen geboten.
Zwei Pläne aus der Hand des Münsterschen Landmessers Berteling, die im Archiv der Gemeinde Nottuln aufgefunden wurden, belegen diese Ideen Schlauns und insbesondere die Bedeutung der „Große Allee“ als gewollte Hauptachse.
Stifts- und Pfarrkirche St. Martinus. © Andreas Lechtape | www.andreaslechtape.de
Ein umfassender Ensemble-Entwurf
In den Folgejahren bis 1755 hatten Schlaun und seine Mitarbeiter immer wieder mit Nottuln zu tun. Es ist eindeutig, dass dem Oberlandingenieur eine gewisse Bauaufsicht zugebilligt wurde. Als man sich 1755 an die Wiedererrichtung von Glockenstuhl und Turm machte, geschah dies nach einem Entwurf, den Schlaun „approbirte“. Die von ihm abgesegnete „Welsche Haube“ bringt bis heute etwas südlichen Schwung in die Baumberge-Landschaft. Ganz offenbar waren weitere Handwerker aus Schlauns Umfeld in Nottuln tätig: Die mit ihrer Inneneinrichtung weitgehend erhaltene Kurie von der Reck zu Steinfurt (Stiftsplatz 7) weist Treppengeländer auf, die mit denen in Clemenswerth übereinstimmen. Vertäfelungen und Beschläge von Türen und Fenstern sind identisch mit solchen im Rüschhaus, Kaminfassungen finden sich im nachgelassenen Planbestand zu anderen Orten und Häusern.
Die besondere Stellung Nottulns im Gesamtwerk Schlauns – die Wissenschaft hat 80 Arbeitskomplexe dokumentiert – erklärt sich daraus, dass es kein weiteres Projekt gibt, das in dieser Weise als „Städteplanung“ oder umfassenderer Ensemble-Entwurf verstanden werden kann, sieht man großen Schloss-Komplexen oder Sakralgebäuden einmal ab.
Hans-Peter Boer
Adresse
Die von Schlaun geplante "Große Allee" heißt heute Stiftsstraße.
Hier liegen die Bauten, die vermutlich nach einem Entwurf von Schlaun bzw. seinem Baubüro entstanden sind.
Aschebergsche Kurie
Stiftsstraße 4
Kurie von der Reck
Stiftsplatz 7
Kurie von Droste zu Senden
Stiftsplatz 8
Alte Amtmannei
Stiftsstraße 13
Besuch
Die Stiftskurien beheimaten heute das Rathaus und Teile der Gemeindeverwaltung. Die Kurie von Droste zu Senden ist heute das Nottulner Rathaus, im Obergeschoss der Aschebergschen Kurie befindet der Ratssaal und das Äbtissinnenzimmer der Reckschen Kurie wird auch für Trauungen genutzt. Die Alte Amtmannei ist ein Veranstaltungszentrum. Eine Innenbesichtigung ist demnach nicht bzw. nur im Rahmen von Veranstaltungen möglich.
Eine Außenbesichtigung ist jederzeit möglich.