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Der Schneckenberg im Gethmann'schen Garten. Der Weg windet sich spindelartig vom Fuß bis an die Spitze des Bergs

Der Schneckenberg im Gethmann'schen Garten, Hattingen-Blankenstein

Denkmal des Monats
Dezember 2023

Der Gethmann'sche Garten

Der Hattinger Industrielle Carl Friedrich Gethmann ließ ab 1806 einen weitläufigen und für die Bevölkerung frei zugänglichen Landschaftsgarten an den reizvollen Südhängen der Ruhr anlegen. Zur „Freude und Erholung seiner Mitbürger und aller Besucher des Städtchens Blankenstein“ errichtet, ist der Gethmann'sche Garten wohl das früheste Beispiel eines Volksgartens im nördlichen Ruhrgebiet. Auf einer Größe von ca. 6 ha wurde die besondere, topografische Situation ausgenutzt, um spannungsvolle Blickbeziehungen innerhalb der Gartenanlage sowie in die umliegende Kulturlandschaft des Ruhrtales zu inszenieren.

Im Geschmack der Zeit des frühen 19. Jahrhunderts ließ Gethmann auch zahlreiche romantische Kleinarchitekturen im Park anlegen. Eines der wichtigsten Gestaltungselemente sind zwei Anhöhen, die durch einen schnurgeraden Weg samt flankierender Obstbaumallee miteinander verbunden sind. Die beiden Erhebungen sind nach den Söhnen Gethmanns als Wilhelmshöhe und Friedrichsberg bezeichnet.

Der Schneckenberg

Der Friedrichsberg, im Osten des Gartens gelegen, ist einem speziellen Gestaltungstypus in der Gartenkunst zuzuordnen, dessen Ursprung bereits in der frühen Neuzeit liegt. Bei der Anlage des sogenannten Schneckenberges nutzte man einen natürlich in der Landschaft gelegenen flachen Hügel, auf dessen Kuppe eine künstliche Anhöhe geschaffen wurde. Wie der Name erahnen lässt, windet sich ein spindelartiger Weg vom Fuß des Berges an den Flanken hinauf bis auf die Spitze, welche als Aussichtsplattform gestaltet ist. Zur Sicherung des abschüssigen Geländes entlang des Schneckenweges baute man Trockenmauern aus Ruhrsandstein, dem lokal vorkommenden Gesteinsmaterial. Der untere Teil des Weges ist an der westlichen Hangkante als Hohlweg in das Ruhrsandsteinmassiv hineingearbeitet und führt unter einer massiven Natursteinbrücke – ebenfalls aus Ruhrsandstein – hindurch. Die Brücke bildet die direkte Verbindung zur schnurgeraden Baumallee zwischen Friedrichsberg und Wilhelmshöhe. Auf die Aussichtsplattform gelangt man somit über den längeren, spindelartigen Schneckenweg mit zahlreichen Sichten in den Gartenraum oder, von Westen kommend, direkt über die Brücke. Oben angekommen tun sich spektakuläre Blicke auf die Ruhraue und die Ortstkulisse Blankensteins mit der markanten Burg auf. Wie bereits auf historischen Abbildungen zu erkennen ist, krönt seit jeher eine Linde die Mitte des kreisrunden Platzes und sorgt damit auch in heißen Sommern für einen angenehmen Aufenthalt auf dem Friedrichsberg. Darüber hinaus ist das Hügelbauwerk durch den Baum auf seiner Kuppe weithin sichtbar und fungiert im Sinne eines Belvedere im Garten.

Der untere Teil des Schneckenweges führt unter einer massiven Natursteinbrücke hindurch

Einziges erhaltenes Beispiel in Westfalen

Der Schneckenberg ist als Gestaltungselement in der europäischen Gartenkunst erstmals im Italien des 15. Jahrhunderts zu finden. In Renaissancegärten wie der Villa Quaracchi in Florenz oder der Villa Medici in Rom entstanden künstliche Aussichtsberge mit spiralförmigen Wegen, meist bekrönt von Tempeln oder Pavillons. Erste vergleichbare Anlagen traten in Deutschland in Stuttgart (Ölberg mit Kapelle im Lustgarten, 1580), Kassel (Schneckenberg mit Aussichtsplattform in der Karlsaue, 1710), Bayreuth (Schneckenberg mit chinesischem Pavillon in der Eremitage, 1753) oder in Hanau (Schneckenberg mit Janustempel im Park von Wilhelmsbad, 1777) auf. Seine Blütephase hatte der Schneckenberg in den barocken und spätbarocken Anlagen des 17. und 18. Jahrhunderts, doch kamen sie ebenso noch in frühen Landschaftsgärten – wie hier in Hattingen – vor. Für Westfalen sei auf die einstige Existenz von künstlichen Aussichtsbergen mit Schneckenweg im Annenhofgarten von Lemgo, 1769 angelegt, sowie vermutlich auch im ehemaligen fürstbischöflichen Garten von Clemens August von Bayern in Sassenberg, 1698 entstanden, verwiesen. Der Friedrichsberg im Gethmann'schen Garten ist nach derzeitigem Kenntnisstand das einzige vollständig erhaltene Beispiel dieser Gartenarchitekturgattung in Westfalen.

Auf der kreisrunden Aussichtsplattform sorgt seit jeher eine Linde für Schatten

Die Aussichtsplattform bietet einen weiten Blick über das Ruhrtal

Zustand vor der Instandsetzung

Bedingt durch die Konstruktion als künstliches Erdbauwerk sind Schneckenberge und vergleichbare Aussichtshügel neben natürlicher Erosion auch einer nicht unwesentlichen Abnutzung durch Parkbesucher ausgesetzt. Das bedeutet für ihre Erhaltung einen hohen Aufwand. Darin ist vermutlich auch die Tatsache begründet, dass – neben dem Verlust aufgrund wechselnder Moden – heute nur noch wenige Beispiele im deutschsprachigen Raum überliefert sind. Dieser ephemere Charakter sorgte auch im Gethmann'schen Garten über den Verlauf von zwei Jahrhunderten für erhebliche Substanzverluste. An den Hängen, dem Plateau und den Wegen war es zu erheblicher Materialverlagerung bei gleichzeitiger Verdichtung des Erdreiches gekommen. Die Wegespirale war nur noch in Ansätzen erkennbar (und nutzbar). Das Wurzelwachstum von unkontrolliertem Gehölzaufwuchs verursachte zusätzliche Bodenbewegungen an den Hängen, welche sich auf die Stabilität und Kontur des Berges auswirkten. Unsachgemäße Reparaturen mit zementbasierten Bindungsmitteln und Stabilisierungen durch Betonmauern in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts bedingten weitere Beeinträchtigungen von bauzeitlicher Substanz sowie dem historischen Erscheinungsbild.

Vor der Restaurierung: An den Hängen war es zu erheblicher Materialverlagerung gekommen

Vorbildliche Restaurierung

Dieser für Stadt und Parkbesucher unbefriedigende Zustand konnte 2020/21 mithilfe von Fördermitteln aus dem europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) behoben und das kulturhistorisch wertvolle Bauwerk gesichert werden. In Zusammenarbeit von Stadt, Denkmalpflege, Planungsbüros und Restaurierungsfachleuten wurde der Schneckenberg zunächst detailliert untersucht, geodätisch erfasst sowie Schäden dokumentiert. Auf dieser Grundlage entstand ein vorbildliches Restaurierungskonzept, welches in der Folge umgesetzt werden konnte. Grundvoraussetzung für die Instandsetzung war zunächst eine umfangreiche Reparatur und Ergänzung der historischen Natursteinmauern, die als statisches Grundgerüst für den künstlichen Berg fungieren. Im Anschluss wurden die Hangbereiche von unkontrolliertem Aufwuchs befreit und neu modelliert sowie die Wegespirale und Aussichtsplattform wiederhergestellt. Um dem ökologischen Anspruch der Förderkulisse gerecht zu werden, sind die Vegetationsflächen mit regionalem Saatgut in extensive Wiesen umgestaltet worden. Moderne Bänke, filigrane Geländer und andere Ausstattungselemente sorgen nun wieder für eine hohe und zeitgemäße Aufenthaltsqualität und ein unvergleichliches Gartenerlebnis. 

Mit der Wiederherstellung des Friedrichs- oder Schneckenberges im Gethmann'schen Garten hat die Stadt Hattingen ein gartenkünstlerisches Kleinod von besonderem Wert wieder mit Leben erfüllt. Durch seine Einmaligkeit in der Garten- und Parklandschaft des Ruhrgebietes strahlt es weit über dessen Grenzen hinaus.

Während der Restaurierung: Natursteinmauern werden wiederhergestellt und die Hangbereiche neu modelliert

Mit regionalem Saatgut wurden Vegetationsflächen in extensive Wiesen umgestaltet

Mit regionalem Saatgut wurden Vegetationsflächen in extensive Wiesen umgestaltet None

Autor

Marcus Weiß
Gartendenkmalpflege

marcus.weiss@lwl.org

Tel: 0251 591-4062

Porträt